Dr. Philipp Ehrenstein ist leitender Arzt der Helios Sportklinik Uerdingen und gebürtiger Leverkusener. Bereits als Kind infizierte ihn sein Vater mit dem Fußballvirus und der Liebe zur Werkself. Seine erste Erinnerung an den Verein war das UEFA Cup Finale 1988, bei dem sich seine Eltern im Vorfeld darüber stritten, ob er die TV-Übertragung trotz Schule am nächsten Tag zu Ende sehen durfte. Seine Passion für Bayer 04 Leverkusen vereint er seit 2015 als Mannschaftsarzt mit seinem Beruf.

Die vergangene Saison war eine superaufregende Zeit und natürlich haben alle, die mit der Mannschaft zu tun haben, den Erfolg genossen. Endlich konnten wir das „Vizekusen“-Narrativ ablegen! Als gebürtiger Leverkusener war es für mich etwas sehr Besonderes, Teil dieses Doubles zu sein. Vor allem die Art und Weise, wie die Jungs auf dem Platz die 90 Punkte in 34 Spielen plus die sieben Siege im DFB-Pokal geholt haben, erfüllt mich mit unglaublichem Stolz und Faszination.

Die erste Mannschaft der Geschichte des deutschen Profifußballs zu sein, die in einer ganzen Saison kein nationales Spiel verloren hat, wirkt wie ein Katalysator. Die Jungs haben mit einer derartigen Überzeugung Woche für Woche ihre Leistung abgerufen und Sympathien nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gesammelt. Eins ist für mich nach dieser Saison glasklar: Das Image des „Plastikclubs“ existiert nicht mehr.

Als Arzt des Vereines und Kind der Stadt fiebere ich mit dem Verein wie ein ganz normaler Fan und wünsche ihm selbstverständlich maximalen Erfolg. Um das zu erreichen, ist allerdings sehr viel Arbeit erforderlich. Die Aufgabe ist denkbar einfach: Man muss besser sein als sein Gegner – und das Woche für Woche. Damit das eintritt, müssen allerdings viele Dinge zusammenkommen und das ist eine enorme Herausforderung. Wir Ärzte müssen zusammen mit den Physiotherapeuten, Sportwissenschaftlern und Athletiktrainern immer wieder einschätzen und beurteilen, welche Spieler verletzungsgefährdet sind und inwiefern es gegeben ist, sie dem Trainer für das Spiel freizugeben. Denn mein Job ist es, mit meinen Kollegen die maximale Spielerverfügbarkeit zu gewährleisten. Und so müssen wir immer erneut evaluieren, was vertretbar und wann das Limit der Belastbarkeit erreicht ist.

Nach so einer erfolgreichen Saison bin ich natürlich nicht besonders glaubwürdig, wenn ich klage, aber die Spielbelastung für Fußballprofis ist mittlerweile immens. Sie absolvieren ja nicht nur die regulären Saison- und Pokalspiele, sondern auch Freundschafts- und Länderspiele. Somit kommt unser Stammpersonal seit August 2023 locker auf 65 Spiele und mehr – und da ist die soeben gespielte Europameisterschaft noch nicht mitgezählt. Es bleibt demnach nicht viel Zeit für die Regeneration und das äußert sich in verschiedenen Ermüdungszeichen und Vorboten von Verletzungen. Die Entscheidung, ob wir einen Spieler noch als gesund oder schon als nicht mehr einsatzfähig betrachten, ist mitunter riskant. Eine enge, auf Vertrauen basierende Kommunikation zwischen der medizinischen Abteilung und dem Trainerteam ist unerlässlich. Das ist uns dieses Jahr überragend gelungen, weil wir im Staff überragend funktioniert haben. Das wusste auch unser Trainer Xabi Alonso zu würdigen: Als er Co-Trainer, Physios und Ärzte nach dem 3:0 Sieg gegen Bayern München in die Kurve geholt hat, war ein besonders schöner Moment!

Teamgeist ist ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor. Wenn man über ein ganzes Jahr jeden Tag immer wieder mit denselben Menschen zusammen arbeitet, kennt man sich sehr gut. So gut, dass es gar nicht unbedingt erforderlich ist, Strategien zur Beobachtung der mentalen Gesundheit des Einzelnen zu implementieren. Natürlich gehört auch das dazu, aber am allerwichtigsten ist meiner Erfahrung nach die Zusammenarbeit. In einem Team muss man füreinander da sein, sich untereinander vertrauen, die Stärken und Schwächen der Kollegen kennen, um sie fördern oder kompensieren zu können. Die Wahrscheinlichkeit, dass du besser bist, ist dann am größten. Da unterscheidet sich ein Krankenhaus letztlich nicht von einem Fußballverein – und die elf Jungs auf dem Platz nicht vom Staff, der sie umgibt.

So etwas lässt sich nach einer Meistersaison natürlich ganz einfach sagen. Es ist total einfach, mit Freude dabei zu sein, wenn man erfolgreich ist. Aber den Teamgedanken muss man eben besonders dann wahren, wenn es mal nicht läuft. Das ist am schwierigsten und damit die größte Herausforderung. Insofern wünsche ich mir, dass ich die Erfahrung der erfolgreichen Saison auch in meine Zukunft übertragen und anwenden kann. Denn ein Teil dieses Teams gewesen zu sein und dazu beigetragen zu haben, den Teamgedanken zu bewahren, der für den Erfolg nötig war, macht diese vergangene Saison zu etwas ganz Besonderem.

Dr. med. Philipp Ehrenstein
Leitender Arzt der Sportorthopädie am Helios St.-Josefshospital Uerdingen
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Helios St. Josefshospital Uerdingen
Kurfürstenstraße 69
47829 Krefeld