Der Schiedsrichter pfeift und zieht die rote Karte. Plötzlich wird er von mehreren aufgebrachten Mannschaftskameraden bedrängt, die wild auf ihn einreden und aufgebracht gestikulieren. An der Seitenlinie tobt der Trainer, überzieht den Unparteiischen mit Schmährufen. Ein gewohntes Bild aus der samstäglichen Sportschau. Von Verantwortlichen der Amateurligen hört man sogar noch Schlimmeres: Tätliche Attacken gegen den Schiri sind hier keine Seltenheit mehr. Die Fußballabteilung des SC Bayer 05 Uerdingen wird angesichts dieser Entwicklung nun aktiv. Die Idee: ein Perspektivwechsel für junge Fußballer.
Sich bewusst in die Schuhe eines anderen zu versetzen, kann ein echter Augenöffner sein. Wie ist es für einen Schiedsrichter, in Sekundenbruchteilen einen Zweikampf im Strafraum beurteilen zu müssen? Wie fühlt er sich, wenn angesichts seiner Entscheidung eine Horde wutschnaubender Fußballer auf ihn zustürmt und ihm aus nächster Nähe ins Gesicht brüllt? Diese Erfahrung sollen demnächst alle Fußballer des SC Bayer 05 Uerdingen ab der D-Jugend selbst machen. Zu ihrer Ausbildung gehört ab sofort ein Schiedsrichterkurs. In Zusammenarbeit mit der Schiedsrichtervereinigung Kempen/Krefeld unter der Leitung des Schiedsrichterobmannes Andreas Kotira absolvieren die Fußballer einen aus zehn Theoriestunden sowie Abschlussprüfung bestehenden Kurs. Zweck des Kurses ist es dabei ausdrücklich nicht, neue Schiedsrichter für den Spielbetrieb zu bekommen, sondern ein Verständnis für die anspruchsvolle Aufgabe des Unparteiischen zu entwickeln.
Das bestätigt auch Kai Brockhoff, Stellv. Abteilungsleiter und Obmann der D-Jugendmannschaften beim SC Bayer 05 Uerdingen. Er war viele Jahre als aktiver Schiedsrichter unterwegs und ist heute als Schiedsrichterbeobachter im Einsatz. Für ihn ist das Projekt eine Herzensangelegenheit: „Der Perspektivenwechsel soll Verständnis für den Schiedsrichter wecken, mehr Respekt und Anerkennung für diesen wichtigen Part des Fußballspiels erzeugen und die Spieler charakterlich fördern!“ so Brockhoff. „Ziel ist es, dass unsere Spieler nicht nur den Wochenendlehrgang erfolgreich durchlaufen, sondern auch nach und nach alle mal ein oder zwei E-Jugendspiele leiten sollen. Erst dann weiß man nämlich, wie schwierig der Job ist.“