Was hat das Leben in der Schwerelosigkeit des Alls mit Menschen in einem Pflegeheim zu tun? Auf den ersten Blick ziemlich wenig. Wer allerdings genauer hinschaut, stellt fest, dass beide Personengruppen, Astronautinnen und Astronauten sowie Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, eine Herausforderung zu meistern haben – nämlich den Muskel- und Knochenschwund aufgrund von zu wenig Bewegung. Denn sowohl in der Schwerelosigkeit als auch bei längerer Bettlägerigkeit oder körperlicher Immobilisation werden die für das Tragen des eigenen Körpergewichts vorgesehenen Muskeln nicht genutzt, weshalb sich Muskelzellen schließlich abbauen. Diese erstaunliche Parallele hat das Kölner Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen mit deren Partnern des Kompetenznetzwerkes für immobilisationsbedingte Muskelstörungen (KNIMS) dazu angeregt, Trainingskonzepte aus der Raumfahrtforschung, Medizin und Sportwissenschaft auf den Bereich der Alten- und Krankenpflege zu übertragen, und eine entsprechende Studie anzustoßen.
Ein Teil dieser Studie ist seit ein paar Wochen das Krefelder Seniorenzentrum Am Bismarckviertel, wo vier Bewohnerinnen und Bewohner an den täglichen Übungen teilnehmen, und die beteiligten Mitarbeiterinnen der sozialen Betreuung entsprechend geschult wurden. Eine dieser Probandinnen ist die 82-Jährigen Irene Rudolph, die seit eineinhalb Jahren hier im Seniorenzentrum wohnt. Körperlich ist sie noch deutlich beweglicher als manche ihrer Mitbewohner, benötigt zum Gehen über längere Strecken aber einen Rollator. „Ich bewege mich, wenn es geht, sehr viel“, erklärt sie, „muss mich aber schon öfters festhalten. Daher finde ich es gut, wenn ich durch die Übungen etwas kräftiger werde.“ Dass die Übungen bereits nach zwei Wochen ein kleines Bisschen Wirkung zeigen, bestätigt Misako Kitazawa, die für die soziale Betreuung im Seniorenzentrum zuständig ist. „Manche Übenden sagen zwar, sie merken keine Veränderung. Ich sehe aber schon einen kleinen, aber stetigen Fortschritt. Der kann schon darin bestehen, dass sie sich jeden dritten Tag einen Zentimeter weiter nach unten beugen können“, freut sie sich.
Aber was sind das für Übungen, die Seniorinnen und Senioren zugleich zu mehr Beweglichkeit und Kraft verhelfen sollen? Es sind drei simple Trainingsübungen mit potenziell großer Wirkung: Da stellt man zum einen die Beine hüftbreit auseinander auf und geht wie ein Skifahrer in die Knie. Um eine Kniebeuge mit Ausfallschritt geht es bei der zweiten Übung: Hier geht man mit einem Bein in die Knie, während man das andere Bein, ebenfalls gebeugt, nach hinten stellt. Vor allem um die Verbesserung des Gleichgewichts geht es bei der dritten Übung, bei der die Kniebeugen auf einem Bein stehend durchgeführt werden. Die gesamte Übungsfolge dauert nur 10 bis 15 Minuten, soll dafür aber fünf- mal die Woche täglich wiederholt werden.
Um Stürze zu vermeiden, werden die Übungen immer einzeln, und von Misako Kitazawa assistiert, durchgeführt. „Je nachdem wieviel Hilfe sie benötigen, gebe ich den Übenden immer etwas Halt“, berichtet sie. „Manchmal halte ich sie am Arm fest, oder ich stehe hinter ihnen. Um sofort eingreifen zu können. Wichtig bei allen Übungen ist die richtige Atemtechnik“, weiß die gelernte Musiktherapeutin. „Bevor wir anfangen, lasse ich die Bewohner erst einmal zur Ruhe kommen, und bitte sie ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen. Denn ruhiges Atmen hilft sehr dabei die nötige Balance zu halten“, betont sie. „So weit möglich, suchen wir uns für die Übungen einen ruhigen Ort. Aufgrund unserer hohen Arbeitsbelastung schaffen wir es aber leider nicht, die Übungen immer zur selben Zeit durchzuführen. Wir müssen die Trainingseinheiten dann einbauen, wenn es zeitlich in unseren Ablauf passt.“
Die Trainingsintensität wird jeweils an die individuelle Leistungsfähigkeit der Übenden angepasst, wobei eine möglichst hohe Intensität angestrebt wird, um einen spürbaren Effekt zu erzielen. Um den Trainingsfortschritt zu messen, wurden bei den Probanden vor Beginn des vierwöchigen ersten Studienblocks Griffstärke, Ganggeschwindigkeit, Körperzusammensetzung, Sprungkraft ermittelt. Parallel zu Interviews zu den Erfahrungen der Teilnehmenden werden diese Messungen dann nach den vier Wochen wiederholt.
Unabhängig, welche Ergebnisse die Studie haben wird, ist die Leiterin der Sozialen Betreuung jetzt schon überzeugt, dass die Übungen sinnvolle Maßnahmen sind. „Es ist unser Ziel, unseren Bewohnerinnen und Bewohnern das Leben so lebenswert wie möglich zu gestalten“, stellt sie fest. „Wenn wir mit den Übungen eine Verbesserung der Beweglichkeit erreichen können, sind sie den Aufwand auf jeden Fall wert. Außerdem freuen wir uns, mal etwas Neues auszuprobieren. Erste Erfolge sieht man ja schon“, erklärt sie mit Überzeugung. Und auch Studienteilnehmerin Irene Rudolph freut sich über die Abwechslung in ihrem Alltag und die Chance, ihre Beweglichkeit zu verbessern. "Es ist sehr wichtig, so lange wie möglich selbst laufen zu können", sagt sie mit einem Lächeln.
Senioren Wohnpark Weser GmbH
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