Im soeben vergangenen Jahr war sie medial allgegenwärtig, die Angst. Erst fürchteten wir uns davor, dass der Krieg aus der Ukraine auch den Rest der Welt erfassen könnte. Dann davor, dass wir den Wohlstand, an den wir uns so gewöhnt haben, verlieren könnten. Und dann war da ja immer noch der Klimawandel mit seinen Natur- und Wetterkatastrophen. Angst ist ein immens starkes Gefühl, das uns komplett beherrschen kann. Aber wir brauchen sie auch, um Gefahren überhaupt als solche zu erkennen. Wie bei so vielen Dingen geht es auch bei der Angst darum, mit ihr umgehen zu lernen, um nicht in Ohnmacht zu erstarren.
Zunächst: Es ist normal, angesichts der gegenwärtigen Situation Angst zu verspüren. Die Frage ist, wie viel Macht wir der Angst geben wollen. Das beste Mittel gegen sie ist es, tätig zu werden. Wenn wir uns etwa gegen den Klimawandel engagieren, treten wir aus der Ohnmacht heraus, die ein wesentlicher Treiber der Angst ist. „Was kann ich als einzelner denn schon tun? Ich bin doch machtlos!“ Das hört man ganz oft. Es stimmt, dass der Einzelne allein nichts ausrichten kann gegen Ereignisse globalen Ausmaßes. Aber jede große Veränderung beginnt im Kleinen. Und die Bequemlichkeit ist ein guter Komplize der Angst, denn sie sorgt dafür, dass wir in der Passivität verharren und uns in ihr einrichten. Anstatt uns also immer wieder die eigene Machtlosigkeit zu bestätigen, sollten wir uns lieber mit der Frage befassen, was wir denn wirklich tun könnten. Es gibt eine Menge sinnvoller Ansätze: bestimmte Produkte nicht mehr kaufen, weniger Müll produzieren, weniger mit dem Auto fahren, weniger Energie verbrauchen. Selbst wenn das allein die Welt nicht retten wird, so wird sich doch unser Gefühl verändern – und die Angst ihre Macht über uns verlieren.
Natürlich stimmt es, dass wir nicht immer in der Lage sind, in die Dinge einzugreifen. Den Krieg in der Ukraine können nur die Kriegsparteien beenden. Wer angesichts der Meldungen in den Nachrichten Angst verspürt, dem empfehle ich deshalb ein „gesundes Verdrängen“: Den Fernseher oder den Newsfeed einfach mal abschalten, die Tageszeitung liegen lassen. Man muss sich nicht ständig mit etwas konfrontieren, das einem nicht gut tut. Aber diese Vogel-Strauß-Methode kann natürlich keine dauerhafte Lösung sein, zumal wir dann ja auch nicht mitbekommen, wenn sich die Dinge zum Positiven wenden. Sehr hilfreich ist es nach meiner Erfahrung immer, den Austausch mit anderen zu suchen. „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, heißt es nicht zu Unrecht. Wie gehen andere mit der Situation um? Betrachten sie die Dinge vielleicht ganz anders als wir? Haben sie vielleicht Kenntnisse, die wir nicht haben? (Unwissenheit und fehlende Erfahrung können Ängste begünstigen.) Und selbst wenn nicht, so hilft es oft schon, zu spüren, dass man mit seiner Angst nicht allein ist.
Zum Schluss: Es ist weder möglich noch überhaupt wünschenswert, völlig angstfrei zu leben. Wir brauchen die Angst. Aber wir müssen lernen, sie als Aufforderung zu begreifen, statt als Bedrohung.
Ihre Anja Funkel