„Ich weiß, was ich weiß“ – Die Meerbuscherin Judith Ebel hat diesen Satz ganz bewusst als Slogan für ihr besonderes Projekt ausgewählt. Denn, so sagt die gelernte Kinderkrankenschwester und studierte Fachfrau für Erwachsenenbildung, nicht nur die Pflege an sich, sondern auch die in der Pflegebranche Beschäftigten litten unter dem schlechten Image und den bestehenden Vorurteilen: Angeblich werde hier miserabel bezahlt, die Pflegekräfte arbeiteten unter schlechten Bedingungen, die Ausstattung sei veraltet und auch im Kontakt mit Angehörigen begegnen die Pflegenden häufig gutgemeinten Tippgebern, die aber am Ende doch Laien sind. Solche Vorurteile beeinträchtigen auf Dauer die Selbstwahrnehmung. Ebels Erfindung, die App SuperNurse, soll den Pflegenden das Selbstvertrauen zurückgeben.
Schon seit rund 15 Jahren ist die Meerbuscherin freiberuflich als Expertin und Beraterin für große Pflegeeinrichtungen aktiv, zum Beispiel Altenheime oder Krankenhäuser. Immer wieder grübelte sie nach Begegnungen mit Akteuren aus dem Pflegebereich darüber, wie sie diese im Pflegealltag unterstützen und das Image der Pflege verbessern könnte. Vor rund fünfeinhalb Jahren kam ihr im Urlaub eine Idee. „Wissen vermittelt Stärke“, erklärt sie. „Ich entschloss mich, eine App zu entwickeln, die nicht nur bei der Wissenssicherung hilft, sondern durch das Erlernen aktueller Pflegestandards und ein spielerisches Belohnungssystem Selbstvertrauen gibt.“ War Gamification in der Bildung für Pflegekräfte damals noch fast unbekannt, schuf die dreifache Familienmutter mit ihrer Idee einen Meilenstein. 2016 ging ihre App „SuperNurse“ als Quiz-Applikation an den Start und ist inzwischen ein fester Standard in der Branche, mit dem sich Spielende unter anderem anerkannte Fortbildungszertifikate erarbeiten können.
Eine Einrichtung, die SuperNurse seit Beginn nutzt, ist das Seniorenheim der Evangelischen Altenhilfe an der Wilhelmshofallee in Krefeld. Sowohl jede bereits beschäftigte Pflegekraft als auch jeder neue Mitarbeitende bekommt automatisch einen kostenfreien Zugang durch die Einrichtung gestellt. Leiter Frederik Caljkusic war gleich begeistert, als Ebel ihm von ihrer Neuentwicklung erzählte. „Pflegekräften wird immer nachgesagt, dass sie kein digitales Verständnis hätten“, erklärt er. „Davon abgesehen, dass die App über das private Handy unkompliziert bedient wird, sehe ich das anders. Die Pflege ist schon lange im digitalen Prozess.“ In der App können insgesamt 38 Fachbereiche gespielt werden. Diese reichen von Pflichtunterweisungen wie „Erste Hilfe“ oder „Hygiene“ über Pflegefachthemen wie „Mit Menschen kommunizieren“ oder „Medikamentenmanagement“ bis hin zu den Expertenstandards wie „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“.
Über quartalsweise, anonymisierte Berichte kann Caljkusic sehen, welche Fachbereiche in der App gespielt werden und mit welchen Themen sich die Mitarbeitenden beschäftigt haben. Die Auswertung bespricht er gemeinsam mit den Wohnbereichs- und Pflegedienstleitungen und baut auf dieser Grundlage das Präsenzfortbildungsprogramm aus. Die inzwischen 30 Autoren der App fügen unterdessen stetig neue Fragen in das Quiz ein. „Früher habe ich Fortbildungen nur anhand der Interessenbekundungen der Mitarbeitenden geplant, heute sehe ich, wo Bedarf besteht“, erklärt Caljkusic. „Das ist eine völlig andere Herangehensweise, die am Ende auch die Stimmung im Team nach vorn bringt.“ Denn, so ist sich auch Ebel sicher: Pflegende möchten immer das Bestmögliche für den Pflegebedürftigen. Sie sind durchgehend bemüht, sich fort- und weiterzubilden.
„Nach meinen Seminaren habe ich früher selbst gespürt, wie sehr die Pflegenden darunter litten, dass es ihnen oft nicht gelingt, das Erlernte in den Alltag zu integrieren“, erinnert sich die App-Entwicklerin. „Die Routinen nahmen sie so sehr ein, dass sie unsere Seminarergebnisse schnell wieder vergaßen. Heute hilft ihnen die App, die Inhalte langfristig zu sichern.“ Und das macht sogar Spaß. Ranglisten und virtuelle Boni, wie zum Beispiel Rubine oder eine Bestenliste, schaffen Motivation. Die Spielenden können darüber hinaus ihren eigenen Charakter, einen Senior oder eine Seniorin, mit erspielten Kleidungsstücken anziehen und personalisieren. Im Seniorenheim der Evangelische Altenhilfe sind so zum Beispiel interne Wettbewerbe in den einzelnen Wohnbereichen entstanden. „Die App kann eben auch einfach in den Alltag integriert werden“, sagt der Leiter. „Abends auf der Couch werden beim Fernsehgucken oder in der Werbung einfach ein paar Fragen gespielt.“
Für Judith Ebel, die selbst lange Zeit als Kinderintensivschwester in verschiedenen Einrichtungen gearbeitet hat, ist ihre App ein wichtiger Meilenstein rund um die Wahrnehmung des Digitalisierungsprozesses in der Pflege. Als Vorständin des Vereins „Care for Innovation“ engagiert sie sich bundesweit für die Aufklärung über und die Weiterentwicklung von digitalen Anwendungen, die helfen, die Herausforderung einer alternden Gesellschaft zu bewältigen. „Am Ende“, so schließt die Meerbuscherin ab, „geht es nie darum, den Menschen in der Pflege zu ersetzen, sondern immer darum, das Pflegepersonal durch innovative Technologien zu entlasten und stark zu machen.“