An einem bewölkten Freitagvormittag sind wir auf einem alten Gehöft, versteckt in den Maisfeldern um Grefrath, mit Sozialpädagogin und Erziehungswissenschaftlerin Petra Wiefel verabredet. Die 53-Jährige empfängt uns mit ihrer quirligen Hündin Pepsi bereits auf dem Schotterparkplatz des Hofs, auf dem sie gemeinsam mit ihren zwei „Kollegen“ Pedro und Pie ihre Reittherapiesitzungen abhält. Die zwei Wallache wissen noch nichts von unserem Besuch. Die Nase tief im Gras, den Schweif unaufhörlich in Bewegung, genießen sie ihre Freizeit auf einer großen Wiese mit angrenzendem Reitplatz.
Die beiden Pferde sind für Petra Wiefel Arbeit unschätzbar wichtig. Sie helfen der Pädagogin, Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten, Lernschwierigkeiten oder Persönlichkeitsstörungen sowie Erwachsenen mit psychischen Problemen oder privaten Schwierigkeiten, zu neuer Balance zu verhelfen. Erwiesenermaßen kann gezielte Arbeit mit dem Körper Einfluss auf seelische und geistige Prozesse eines Menschen nehmen. Vor allem, wenn ein Kind im frühen Alter ein traumatisches Erlebnis erfahren hat und nicht in der Lage war oder ist, sich zu diesem Ereignis zu äußern, kann die Arbeit mit Pferden helfen, das Unaussprechbare auszudrücken. Dem einen oder anderen mag dieser Gedanke zunächst fern liegen. Ein Pferd spricht nicht unsere Sprache und versteht auch nicht, was wir ihm erzählen. Dennoch können wir mit den Tieren in Kommunikation treten und einander begreifen – ohne Worte.
Der Hof ist ein Ort der Ruhe und Sicherheit. Potenzielle Gefahren oder Angstauslöser sind weit weg, es gibt keine Zuschauer oder Zuhörer. Während die Therapeutin diesen Schutzraum mit Kindern eher spielerisch begeht, dient er erwachsenen Klienten vor allem zum (Wieder-)Erlernen von Entspannung und Körperwahrnehmung bei gleichzeitiger Gesprächstherapie. Bereits seit zehn Jahren ist sie auf die therapeutische Arbeit mit Pferden spezialisiert. Mix-Wallach Pie ist sehr ruhig, sanft und zugewandt, Shetlandpony Pedro etwas eigenwilliger, sehr aktiv und klug. Beide wurden eigens für die Therapie ausgebildet und lernen immer weiter. Dieser Prozess höre nie auf, sagt Wiefel.
„Die Menschen, die herkommen, suchen sich selbst aus, mit welchem Pferd sie gerne arbeiten möchten. Es ist meistens sehr schnell klar, zu welchem der beiden sie sich hingezogen fühlen“, erzählt uns Petra Wiefel. Pferde eignen sich aufgrund ihrer sensiblen Art perfekt als „Spiegel“ für den Menschen. Zum einen sind sie durchlässig für die Gefühlswelt und das Verhalten ihres Gegenübers, zum anderen besitzen sie einen eigenen Willen und ziehen Grenzen, wenn sie sich in einer Situation unwohl fühlen. So dient das Pferd als Veranschaulichungshilfe für Schwingungen, derer sich der Mensch selbst vielleicht noch gar nicht bewusst ist. „Außerdem kann der körperliche Dialog mit einem Pferd eine Schlüsselerfahrung für den Menschen sein“, so Wiefel. Wer beispielsweise schon in frühen Jahren wenig Unterstützung und Verlässlichkeit erfahren hat, kann auf dem Pferderücken erleben, dass es dennoch möglich ist, einem anderen Lebewesen zu vertrauen. „Pferde lassen niemanden einfach fallen. Sie möchten alles ins Gleichgewicht bringen“, erklärt sie weiter. „Das ist wie Tanzen zu lernen. Führen und geführt werden.“ Darauf aufbauend können sich die Unsicherheiten des betroffenen Menschen lösen; er wird mehr Selbst- und Fremdvertrauen lernen. Auch ist das Reiten eine gute Übung, um den eigenen Körper bewusster wahrzunehmen, denn der Umgang mit einem Pferd erfordert eine besondere Konzentration auf das eigene Handeln. Aufgrund ihrer Ausbildung können Pedro und Pie auch mit Situationen souverän umgehen, die einem ungeschulten Tier unter Umständen Angst bereiten oder es verunsichern würden. Da Pferde durchaus kontaktfreudige Tiere sind, kann der Mensch, sofern die Kommunikation stimmt, schnell eine Verbindung zu dem Tier aufbauen.
Wie zur Bestätigung schiebt Pie seine gescheckte Nase zwischen uns und schnuppert vorsichtig. Dann senkt er den Kopf, um sich ein wenig kraulen zu lassen. „Wir geben den Kindern und Erwachsenen ein neues Beziehungsangebot. Wir zeigen ihnen, dass es nicht immer so weitergehen muss, wie sie es vielleicht erfahren haben“, erklärt Petra Wiefel lächelnd. Pedro und Pie lassen keinen Zweifel daran, dass sie in der Lage sind, viel seelische Wärme und Sicherheit zu vermitteln. Während des gesamten Gesprächs verweilen sie ruhig und aufmerksam an unserer Seite. Nach unserem Termin hat das Trio noch eine Therapiesitzung. Bis dahin dürfen sich die zwei Wallache allerdings noch etwas entspannen – die Nasen im Gras der großen Weide.
Petra Wiefel, Tel.: 02158 913076, Mail: info@trias-reittherapie.de, Web: www.trias-reittherapie.de