Sie sitzt vermeintlich gedankenverloren in der letzten Reihe, während er den Klassenraum lauthals zu seiner Bühne macht. Zeigen Kinder Verhaltensauffälligkeiten in Bezug auf Aufmerksamkeit und Konzentration, steht je nach Ausprägung nicht selten der Verdacht eines Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) mit oder ohne Hyperaktivitätsaspekt (ADHS) im Raum. Warum manche Kinder ADS oder ADHS entwickeln, ist von der Medizin nicht abschließend geklärt. Man vermutet als Ursache eine Fehlfunktion im Gehirn, in deren Folge Informationen ungefiltert in das Bewusstsein der Betroffenen gelangen und sie permanent überfordern. Kinder mit ADS ohne Hyperaktivität verhalten sich zwar eher ruhig, haben aber ebensolche Schwierigkeiten, aufmerksam zu sein, wie der klassische Zappelphilipp. Einen Labor-Test, der ADS/ADHS feststellen könnte, gibt es leider nicht. Lediglich eine Checkliste der Verhaltensweisen dient zur Diagnose. Und genau hier wird es knifflig: Mangelnde Aufmerksamkeit oder das extrovertierte Buhlen um eben jene müssen nicht zwangsläufig der Resultat einer Signalstörung im Kopf sein, sondern könnten auch einen ganz anderen Ursprung haben. Manchmal sind es beispielsweise Bindungsstörungen oder tiefsitzende Traumata, auf die Kinder mit Rückzug oder Ausbruch reagieren. Gerade für Eltern ist der Umgang mit dieser Situation schwierig. Oft werden sie ohnehin bereits für das Verhalten ihrer Kinder verantwortlich gemacht und manchmal sogar angefeindet. Aber auch für die Kinder selbst ist es eine andauernde Belastung als „anders“ oder „Störenfried“ gesehen zu werden, was das Verhalten sogar häufig noch verstärkt. Zwischen Hoffen und Bangen suchen Eltern nach einer Antwort, im besten Fall nach einer Lösung. Die Abwägung der Möglichkeiten „Mein Kind hat ADS/ADHS“ oder aber ein anderes Problem der Psyche, das möglicherweise sogar durch Verhaltensweisen in der Familie oder anderer Bezugspersonen entstanden ist, verursacht bei Eltern Unsicherheit und Angst. Es müssen jedoch nicht immer schwerwiegende Auslöser sein. Und: Es geht vor allem nicht um Schuld! Sondern ausschließlich darum, wie dem Kind und damit auch seinem Umfeld geholfen werden kann. Wir alle leben in einer nicht perfekten Welt und müssen im Rahmen von Umständen funktionieren, die wir uns nicht selbst ausgesucht haben. Bevor Sie Ihr Kind nach einer möglichen ADS/ADHS-Diagnose mit Medikamenten wie beispielsweise Ritalin behandeln, lassen Sie abklären, ob nicht auch andere Gründe für das Verhalten ihrer Kinder verantwortlich sein können. Selbst wenn das bedeutet, sich in der Familie oder mit anderen Bezugspersonen mit Umgangs- und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Die wirklich gute Nachricht ist nämlich: Diese Probleme können im Rahmen einer fundierten Psycho- oder Familientherapie mit großer Wahrscheinlichkeit gelöst werden.
Ihre Anja Funkel