Soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram haben längst einen erheblichen Stellenwert im Alltag vieler Menschen eingenommen. Aktuell nutzen allein in Deutschland rund 32 Millionen Menschen Facebook. Instagram kommt auf etwa 17 Millionen Nutzer. Rechnet man noch weitere Soziale Netzwerke wie Snapchat, Whatsapp und Google hinzu, liegt die Vermutung nahe, dass fast jeder Jugendliche und Erwachsene in Deutschland mehr oder weniger stark aktiv ist in der Social Media-Sphäre. Was für viele unproblematisch zum Alltag gehört, wird für andere zum Problem. Kann Social Media süchtig machen, ab wann ist eine Nutzung bedenklich und was kann man tun, um sich aus den Fängen von Facebook und Co. zu befreien?

In öffentlichen Verkehrsmitteln, auf der Arbeit und auch auf dem heimischen Sofa: Smartphones sind allgegenwärtig, und meistens flimmern die Oberflächen einschlägiger Sozialer Netzwerke über die kleinen Bildschirme. Angesichts solcher Alltagsbeobachtungen und der gewaltigen Nutzerzahlen stellt man sich zunächst die Frage, was so unglaublich reizvoll an den sozialen Medien ist. Man gerät schnell an die offensichtlichen Vorteile: Soziale Netzwerke bieten eine komfortable und kostenfreie Kommunikation, und sie ermöglichen es, jederzeit mit Menschen in Kontakt zu bleiben oder neue Kontakte zu knüpfen. Längst verfügen die Applikationen darüber hinaus auch über üppige gefüllte Entertainment- und Informationsangebote. Mit diesen einleuchtenden Annehmlichkeiten lässt sich die gewaltige Sogkraft jedoch noch nicht hinreichend erklären, gab es diese Möglichkeiten schließlich auch bereits zuvor an anderer Stelle. Um den Reiz wirklich zu verstehen, ist es notwendig, sich dem Thema aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven zu nähern. 

Soziale Medien sind in ihrer Grundstruktur auf Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen ausgerichtet und eignen sich schon deshalb für eine soziologische Betrachtung. Der berühmte kanadische Soziologe Erving Goffmann erforschte bereits Mitte des 20. Jahrhunderts die persönliche Selbstdarstellung im Alltag, das sogenannte „Impression Management“, das in der Soziologie seither unstrittig als zentrales Bedürfnis des Menschen gilt. Goffmann bemüht eine Theater-Metapher, um den Drang, sich ständig möglichst situationskonform darzustellen, zu verdeutlichen: Hinter den Kulissen wird geprobt, wie man sich auf der Vorderbühne, also in realen sozialen Situationen, verhalten muss, um den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der jeweiligen Situation zu genügen – wie man also seine jeweilige soziale Rolle möglichst gut erfüllt. Verhält man sich regelkonform, wird man belohnt, verstößt man gegen soziale Regeln, wird man von seinen Mitmenschen sanktioniert. Soziale Medien ermöglichen es besser als jedes Medium zuvor, dieses Bedürfnis der idealisierten Selbstdarstellung zu befriedigen: Sehr genau lässt sich kontrollieren, was nach außen dringt und was verborgen bleibt. Als sichtbares Social Media Profil bleibt zuletzt das bis ins kleinste Detail idealisierte Selbstbild. Die Pizza im teuren Restaurant, das glückliche Paarbild am Strand, die nagelneuen Schuhe – in der Social Media Welt ist alles und jeder aufregend, glücklich und schön. 

Aus einer anderen Perspektive nähert sich die Psychologie dem Phänomen Social Media. Prof. Dr. Matthias Brand leitet das Center for Behavioral Addiction Research (CeBAR) an der Universität Duisburg-Essen und beschäftigt sich dort mit stoffungebundenen Verhaltenssüchten – unter anderem auch der Social-Media-Sucht. „Wir arbeiten in der Forschung mit dem Oberbegriff 'Internet-Nutzungsstörung' und betrachten spezifische Unterformen. Eine davon ist die exzessive Nutzung von Online-Kommunikationsanwendungen wie Facebook, Whatsapp, Instagram“, so Brand. Es gebe verschiedene psychologische Mechanismen, die miteinander und mit dem Individuum interagieren und die Social-Media-Nutzung im Ergebnis so reizvoll machten, so Brand weiter: „Alle Social-Media-Anwendungen haben gemeinsam, dass sie Belohnungsgefühle auf Grundlage einer intermittierenden Verstärkung hervorrufen, das heißt, durch positives Feedback wie Likes und Kommentare immer wieder zwischendurch das Belohnungszentrum im Gehirn aktivieren. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass die Anzahl der Likes und Kommentare die Stärke der Aktivität beeinflusst. Hier gibt es deutliche Parallelen zu den Wirkmechanismen bei stoffgebundenen Süchten“, erläutert der Psychologe. Ein weiterer zentraler Mechanismus sei die sogenannte „fear of missing out“, die permanente Angst davor, wichtige Kommunikationen zu verpassen. Unterschieden werden müsse zwischen einer riskanten und einer suchtartigen Nutzung. „Wer beim Autofahren durch den Newsfeed scrollt, handelt zwar riskant, aber ist nicht zwangsläufig auch süchtig. Umgekehrt kann ein suchtartiges Verhalten eine riskante Nutzung hervorbringen“, betont Brand. 

Doch ab wann kann von einer Social-Media-Sucht gesprochen werden? Auch wenn das Phänomen einer exzessiven Nutzung von Social Media fraglos beobachtbar sei, warnt der Psychologe eindringlich vor einer Überpathologisierung: „In der Psychologie konnte wissenschaftlich noch keine eindeutige Grenzlinie zwischen einer pathologischen und alltäglichen Nutzung gezogen werden. Die Forschung steht hier noch am Anfang.“ Um dennoch ein suchtartiges Verhalten zu identifizieren, schlägt Brand vor, sich an den Kriterien für die inzwischen von der WHO anerkannte Computerspielsucht, die sogenannte Gaming-Disorder, zu orientieren: „Die Nutzung muss unkontrolliert exzessiv sein. Es muss die Hauptbeschäftigung sein, die das Denken und Handeln leitet. Und die Nutzung muss trotz des Erlebens negativer Konsequenzen im Alltag fortgesetzt werden“, so der CeBAR-Leiter. Erst wenn es durch die Nutzung erhebliche Einschränkungen im Alltag gebe, könne von einem problematischen Verhalten gesprochen werden. 

Ob und in welchem Maße Social Media süchtig machen kann, ist Gegenstand verschiedener Untersuchungen. Längst ist das Phänomen auch für das Gesundheitswesen interessant. Mit der Studie „WhatsApp, Instagram und Co. – so süchtig macht Social Media“ untersuchte die DAK in Kooperation mit dem Forsa-Institut die Social-Media-Nutzung von Kindern und Jugendlichen in einer für Deutschland repräsentativen Umfrage – mit einem erschreckenden Ergebnis: Rund 100.000 Kinder und Jugendliche seien abhängig von Social Media. Laut der Studie verbrächten Jungen und Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren durchschnittlich rund zweieinhalb Stunden täglich mit sozialen Medien. Besonders alarmierend sei zudem der Zusammenhang zwischen Social-Media-Sucht und Depressionen, denn wer von sozialen Medien abhängig sei, habe ein höheres Risiko, an einer Depression zu erkranken als Nicht-Süchtige. Der Verdacht liegt nahe: Wer sich ständig in der Blase der schillernden Social-Media-Welt bewegt und dies nicht ausreichend reflektiert, könnte leicht den Eindruck bekommen, dass das eigene Leben sehr viel schlechter ist als das der anderen – ein gefährlicher Teufelskreis. 

Doch was tun, wenn man selbst oder Angehörige immer mehr Zeit in sozialen Netzwerken verbringen, wenn das Smartphone zum Dauerbegleiter wird und die reale Umwelt immer weiter vernachlässigt wird? „Auch wenn eine offizielle Anerkennung als Krankheitsbild noch aussteht, gibt es bereits Hilfsangebote für Betroffene. Es gibt Screening-Instrumente, die ein Suchtverhalten erfassen können, und Suchtberatungsstellen können konkrete Hilfe bieten“, sagt Prof. Dr. Brand. Einen Überblick über Hilfsangebote bietet zum Beispiel die Internetseite des Fachverbands Medienabhängigkeit unter: www.fv-medienabhaengigkeit.de