Zuerst beide Handflächen aneinander legen. Nun mit der linken Hand die rechte Hand umfassen. Anschließend mit der rechten Hand die linke umfassen. Danach alle Finger der linken Hand abseifen. Zum Schluss alle Finger der rechten Hand abseifen. Viermal muss die 20-jährige Lena aus Krefeld dieses Ritual wiederholen, mit dem sie sich täglich ihre Hände wäscht.
Lena aus Krefeld ist eine erfundene Person. Und doch ist ihr Fall so typisch, dass er sich so frei nacherzählen lässt, sagt Dr. Jan Dreher, 44, Oberarzt an der Klinik Königshof, dem Krefelder Fachkrankenhaus für Psychiatrie. „Lena leidet unter einem Waschzwang“, erklärt Dreher, „das heißt, sie muss zum Beispiel ihre Hände in einer bestimmten Reihenfolge waschen, die sich in einer bestimmten Anzahl wiederholt. Wird der Ablauf dieses Rituals gestört, muss Lena das Ritual unterbrechen und von vorne beginnen.“ Der Waschzwang ist eine von zwei Formen, in der eine Zwangsstörung auftreten kann, erklärt Dreher: „Neben den Zwangsimpulsen, die zu Zwangshandlungen werden wie beim zwanghaften Waschen oder auch beim zwanghaften Zählen, gibt es noch die Zwangsgedanken. Dabei ,muss' ein Mensch einen bestimmten Gedanken immer wieder denken.“ Allen Formen gemeinsam ist: „Der Zwang hat die Funktion, Angst zu unterdrücken: Wird die Zwangshandlung nicht ausgeführt, bekommen die Patienten starke Angst, deshalb ,beruhigen' sie sich quasi mit ihrem Ritual“ , erklärt Dreher. Aber wann ist ausgiebiges Waschen einfach nur gründlich und wann wird ein Sauberkeitsfimmel zur Krankheit? „Der Übergang vom ,Tick' zur Krankheit ist abhängig von dem Ausmaß an Zeit, die der Mensch dafür aufbringen muss, und dem damit verbundenen Leidensdruck“, so Dreher. „Verbringt Lena täglich drei Stunden mit Händewaschen und ist ihr Tagesablauf deshalb merklich gestört, handelt es sich um eine schwere Zwangsstörung.“
Von den 80 Millionen Menschen in Deutschland leiden rund 2,3 Millionen jährlich unter Zwängen, wie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit Sitz in Berlin meldet. „Damit“, so die DGPPN, „ist die Zwangsstörung die vierthäufigste psychische Erkrankung in Deutschland.“ Aber, so Dr. Dreher: „Zwangssymptome sind gut heilbar.“ In der Klinik Königshof behandelt man insbesondere schwer betroffene Patienten stationär mit Verhaltenstherapie und Antidepressiva. „Unsere Therapeuten bringen den Patienten in eine konfrontative Situation“, sagt Dr. Dreher. „Ein Mensch mit einem Sauberkeitszwang fasst etwa eine Türklinke an und fährt sich anschließend mit der Hand durchs Gesicht. Dann wäscht er sich aber nicht, führt seine Zwangshandlung also nicht aus, stellt sich also seiner Angst - und macht die Erfahrung, dass die Angst wieder abklingt.“ Wer erste Tendenzen zu Zwängen in sich spüre, solle damit nicht alleine bleiben, warnt Dr. Dreher: „Erste Hilfe bietet zum Beispiel die Selbsthilfe-Kontaktstelle Krefeld. Auch online wird man fündig: unter www.selbsthilfenetz.de.“