Eltern sind immer schon stolz auf die Fähigkeiten ihrer Kinder gewesen, nicht nur auf die intellektuellen. Eigenständiges Sitzen, krabbeln, der erste Schritt: jeweils eine kleine Sensation und ein Ausweis für die gesunde Entwicklung des Sprösslings. Das Tor auf dem Fußballplatz, die Schleife beim Reitturnier bieten weiterhin Anlass ein wenig anzugeben, um sich so das mittägliche Warten am Schultor zu verkürzen. Das Repertoire der Heranwachsenden hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch erstaunlich erweitert. Achtjährige können heute bereits Kung-Fu und Karate. Und falls ein Fluchtwagenfahrer bei der Mafia gesucht wird, ist auch das kein Problem - in der digitalen Welt. In der echten analogen Welt gibt es jedoch immer mehr Kinder im Grundschulalter, die nicht einmal mehr Schwimmen lernen. Ein Projekt der Bürgerstiftung Krefeld möchte das ändern.
Seit 2011 ist das Nichtschwimmerbecken im SVK 72 e. V. in Stadtwaldnähe für zwei Wochen in den Sommerferien die nasse Heimat kleiner Frösche und Seepferdchen. Oder besser: von zwei Gruppen fünf- bis achtjähriger Kinder aus einkommensschwachen Familien, die welche werden möchten. „Es ist in unserer heutigen Zeit überhaupt nicht mehr selbstverständlich, dass Kinder Schwimmen lernen“, erzählt Sigrid Augustin, die sich im Namen der Bürgerstiftung Krefeld um dieses Projekt kümmert. „Wir hatten hier schon Kinder, die waren noch nie im Schwimmbad. Auch nicht im Planschbecken. Die kannten nur das heimische Badezimmer.“ Verständlicherweise flösst ihnen die weitläufige Schwimmanlage erst einmal Respekt ein. Deshalb ist es das erste Ziel des kostenlosen Ferienangebotes, die künftigen Wasserratten an ihre neue Umgebung zu gewöhnen, damit sie die Angst vor dem ungewohnt tiefen Wasser verlieren. „Wie lange diese Eingewöhnung dauert, ist letztendlich auch eine Typfrage“, weiß Julia Vogel, Geschäftsführerin des Schwimmvereins 72 e. V. und überzeugte Unterstützerin des Schwimmkurses. „Uns ist es wichtig, dass alle Spaß und nach dem Urlaub auch etwas zu erzählen haben. Denn nur so lernen sie auch wirklich etwas.“ Die Schwimmabzeichen, Frösche für die Grundstufe und Seepferdchen für die Fortgeschrittenen, sind gedacht als eine kleine Auszeichnung, die auch über die Sommerferien hinaus motivieren soll. Denn einige der Schwimmanfänger müssten im nächsten Jahr wieder in den Schwimmkurs der Bürgerstiftung Krefeld gehen, da sie den Rest des Jahres keine oder wenig Gelegenheiten zum Vertiefen des Gelernten haben. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Immer mehr Schwimmbäder der Kommunen müssen schließen, sportorientierter Schulunterricht entfällt häufig. „Und wenn der Schwimmunterricht stattfindet, bleiben den Kindern, nach Abzug von An- und Abreise zum Bad, oft nur noch 20 Minuten Wasserzeit“, erzählt Julia Vogel. „Das reicht einfach nicht, um mit der nötigen Ruhe neue Fähigkeiten zu erwerben.“ Zumal die zusehends größer werdenden Grundschulklassen nach wie vor nur von zwei Betreuungspersonen angeleitet würden. „Deshalb achten wir besonders darauf, unser Projekt in kleinen Gruppen bis zu zehn Kindern zu durchzuführen“, sagt Sigrid Augustin, „und dabei den Betreuungsschlüssel so hoch wie möglich zu halten. Dank unserer Trainerin Nicole Hoppe und ihren Assistenten – im letzten Jahr waren das Robert Chant vom SVK und Monika Klingen, Zeitstifterin der Bürgerstiftung - haben wir genug Ansprechpartner für die Kinder.“ In unserer immer diversifizierteren Gesellschaft ist es nicht in allen Kreisen üblich, Schwimmen zu gehen. Und da auch Ungeübte sich bei sommerlichen Temperaturen doch nur schwer der kühlen Verlockung entziehen können, sterben jedes Jahr Kinder und Erwachsene bei Badeunfällen. „Dabei sind Schwimmen und Wassersport so schöne sommerliche Freizeitbeschäftigungen für die ganze Familie. Und abends sind dann alle glücklich und müde“, lächelt Julia Vogel, die sich gerne an Nachmittage bei einem guten Buch im Freibad erinnert, mit ihren planschenden Kindern im Blick.
Doch besonders junge Mädchen aus Familien mit Migrationshintergrund werden immer häufiger vom Sport- und Schwimmunterricht befreit. Mit Folgen nicht nur für die motorische und kognitive Entwicklung – dass die körperliche Bewegung sich positiv auf die geistige Beweglichkeit auswirkt ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen – , sondern auch für die soziale Kompetenz. Wer nicht mitmachen kann oder darf, verpasst die Chance, sich spielerisch einen Platz in der Welt zu erobern. Schließlich gehört es auch zum Prozess des Erwachsenwerdens, sich in der Welt orientieren zu können, Dinge zu begreifen und, im Idealfall, mit Freunden gemeinsam Erfahrungen zu sammeln. Julia Vogel hat in den letzten Jahren die positive Wirkung des Projektes auf die Kinder beobachten können: „Für diese Kleinen ist das etwas ganz Großes. Die sind ganz stolz und legen einen echten Weg zurück.“
Eine wunderbare Erfahrung, die immer weniger junge Menschen teilen. Die Deutsche-Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) weist seit Jahren vergeblich auf den deutschlandweiten Trend zum Nichtschwimmertum hin. Rund die Hälfte der Grundschulabgänger kann laut Statistik nicht schwimmen. „Wir sehen da schon den Bedarf dieser Entwicklung entgegenzuwirken und wenigstens im Kleinen unseren Beitrag zu leisten“, so Sigrid Augustin, die sich mit der gemeinnützigen Bürgerstiftung vorrangig der Förderung und Bildung von Kindern und Jugendlichen verschrieben hat. Im Schwimmverein Krefeld und im Stifter Christoph Borgmann haben sie schnell Verbündete gefunden, um gerade für diejenigen Familien ein kostenloses Angebot zu schaffen, die sich den Schwimmunterricht sonst schlicht nicht leisten könnten. In diesem Jahr haben sich bereits einige Achtjährige angemeldet, darunter ein kleiner Junge aus Syrien. Damit diese Kinder in Zukunft gefahrlos ihre Freizeit an den Badeseen und in den Freibädern der Region verbringen können, lernen auch sie in diesem August wieder zu paddeln, zu tauchen und sich sicher im kühlen Nass zu bewegen. Nach zwei Wochen ist die Verwandlung zum Frosch oder Seepferdchen dann vielleicht noch nicht perfekt, aber erste Anzeichen von Schwimmhäuten sind ganz bestimmt erkennbar.
Interessierte Familien können sich unter info@buergerstiftung-krefeld.de oder über 02151 36 000 60 anmelden oder mehr erfahren. Ansprechpartnerin ist Sigrid Augustin.
Wer das Schwimmprojekt finanziell unterstützen möchte, kann das gerne tun. Spendenkonto: Sparkasse Krefeld, IBAN: DE25 3205 0000 0000 0099 77 oder Volksbank Krefeld, IBAN: DE07 3206 0362 0000 0099 70.