Mit dem Start ins neue Jahr werden immer wieder gute Vorsätze beschlossen, die sich meist um ein gesünderes Leben drehen. Ganz oben auf der Hitliste der guten Vorsätze: Abnehmen und gesunde Ernährung. Besonders nach den Festtagen, an denen reichlich geschlemmt wurde, beschleicht sicher den einen oder anderen unter uns der Gedanke: „Wieso nicht einfach mal gar nichts essen?“
Schnell kommt einem da das „Heilfasten“ in den Sinn, das 1935 vom deutschen Arzt Otto Buchinger begründet wurde. Beim Heilfasten gilt der freiwillige Verzicht auf jegliche feste Nahrung, denn nur Gemüsebrühe, Obstund Gemüsesäfte sowie Honig sind bis zu einer Gesamtmenge von 500 Kalorien erlaubt. Mindestens acht bis zehn Tage bis hin zu vier Wochen soll diese Hungerkur angewendet werden. Doch ist eine solch extreme „Diät“ wirklich nützlich und sinnvoll? Wir haben dazu einen Experten befragt: Dr. med. Oliver Schmidt Osterkamp, Chefarzt und ärztlicher Direktor am Hospital zum Heiligen Geist in Kempen. Nicht nur als Internist und Gastroenterologe, sondern auch als Ernährungsmediziner und Sportmediziner ist er der ideale Ansprechpartner, um uns zum Thema „Heilfasten“ Rede und Antwort zu stehen. Der engagierte Arzt fällt gleich zu Anfang ein vernichtendes Urteil: „Fasten hat überhaupt nichts mit „heilen“ zu tun!“ Im Gegenteil: Schmidt Osterkamp warnt, dass bestehende gesundheitliche Probleme wie Herzschwäche, Ernährungsstörungen, Leberschäden oder Nierenkrankheiten durch das Heilfasten noch bedenklich verschlimmert werden können. Aber warum? Steckt doch schon im Namen „Heilfasten“ das Wort „heilen“, das eher Linderung von Beschwerden verspricht.
Beim Heilfasten wird dem Körper weitaus weniger an Energie zur Verfügung gestellt, als er braucht, um seine Grundfunktionen aufrecht zu halten. Damit der Körper trotzdem weiter funktioniert, entsteht eine sogenannte Katabolie, ein Zustand, bei dem der Körper durch Abbau seiner eigenen Substanz Energie frei setzt, um das eigene Überleben zu sichern. Man könnte nun meinen, dass man durch das Heilfasten endlich den weihnachtlichen Hüftspeck zum Schmelzen bringt und somit seine Gesundheit fördert. Leider ist das ein gefährlicher Trugschluss, denn unser Körper stellt als erstes aus dem Struktureiweiß, einem Großteil unserer Muskelmasse, Energie zur Verfügung.
Dieser Mechanismus war in der Urzeit überlebenswichtig, denn so war sicher gestellt, dass der Grundumsatz durch die so verringerte Muskulatur sank und der Urzeitmensch besser durch Hungerperioden kam – zum Beispiel, bis das nächste Mammut erlegt war. In der heutigen Zeit gibt es keinen Grund, die Muskelmasse durch solch extreme Fehl- und Mangelernährung bewusst zu minimieren. Im Gegenteil: nach dem Heilfasten ist der Grundumsatz durch die verlorene Muskelmasse gesunken, die Ernährung orientiert sich aber an den Mengen, die vor dem Fasten richtig waren. Die Folge ist der auch aus anderen ungesunden Abnehmdiäten bekannte „Jojo-Effekt“: das verlorene Gewicht ist schnell wieder da – und das in ungünstigerer Körperzusammensetzung als vor der „Diät“, denn bei gesunkenem Anteil an Muskelmasse fällt der Fettanteil nun prozentual noch schwerer ins Gewicht. „Es gibt überhaupt keinen Grund zu fasten“, stellt Schmidt Osterkamp fest. Es gibt besonders einen Grund, der ganz dagegen spricht: Auch unser Herzmuskel kann durch Heilfasten Schaden nehmen, denn auch er besteht aus Struktureiweiß, das bei solchen Hungerphasen abgebaut wird. Eine Therapie, so Schmidt Osterkamp, bedürfe immer eines Ziels. Also: „Was möchte ich mit dem Heilfasten eigentlich erreichen?“ Selbst die „Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung e.V.“, die eigens zur Förderung des Fastens gegründet wurde, definiert kein Ziel, das mit dem Heilfasten eintreten soll und nennt auch keine wissenschaftlichen Therapie-Endpunkte. Traditionell wird Heilfasten jedoch im Allgemeinen zur „Entschlackung“ des Körpers empfohlen. Dieser Begriff wird in den Leitlinien des Heilfastens nicht erwähnt und ist nur mündlich überliefert. Schlacken entstehen grundsätzlich bei der Verbrennung, bei der Verhüttung von Erzen oder bei Vulkanausbrüchen. In unserem Körper finden auch Verbrennungsprozesse statt, die aber biologischer Natur sind. Somit entstehen hier auch keine Schlacken. „Unser Körper ist mit Leber, Niere und Darm bestens ausgestattet, Schadstoffe auch ohne „Entschlackungskur“ auszuscheiden“, erklärt der Experte. Für alle von Befürwortern der „Entschlackung“ an geführten Wirksamkeitsbeweise gibt es wissenschaftsmedizinische Erklärungen, die jedoch nichts mit dem Entschlacken selbst zu tun haben. Das Argument der Entschlackung würde also nur angeführt werden, um Menschen das Heilfasten zu verkaufen, so Schmidt Osterkamp. Aber warum gibt es dann sogar spezialisierte Heilfasten-Ärzte, die diese radikale Fastenkur „unter medizinischer Aufsicht“ anbieten? Schmidt Osterkamp sieht solche Ärzte in einer medizinischen Grauzone und gibt zu bedenken, dass das Heilfasten einen lukrativen Markt darstellen kann. Und besonders bei ohnehin bestehenden gesundheitlichen Problemen könne Heilfasten schädlich sein, warnt der Experte noch einmal. Kann Heilfasten also in irgendeiner Art und Weise hilfreich sein? Von vielen wird Fasten auch als eine Selbsterfahrung in geistig-spiritueller Hinsicht und als „Schlussstrich“ unter bisheriges Essverhalten empfohlen. Der Leiter des innovativen Bauchzentrums am Hospital zum Heiligen Geist in Kempen formuliert es klar und deutlich: „Alle Auswirkungen, die das Heilfasten gemäß den Leitlinien der „Ärztegesellschaft Heilfasten & Ernährung“ erreicht, sind durch andere Methoden und Therapien ohne gesundheitliches Risiko zu erreichen.“
Im Übrigen raten die Fachgesellschaften aus Ernährungswissenschaft und Medizin, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung oder die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin vom Heilfasten ab. Wer also im neuen Jahr etwas für seine Gesundheit tun möchte, sich gesünder ernähren oder Körperfett verlieren möchte, sollte sich bei qualifizierten Fachleuten wie Ernährungsberatern, Diätassistenten, Oecotrophologen und Ernährungsmedizinern kompetent beraten lassen. Hier besteht die Möglichkeit einer individuellen und fachgerechten Empfehlung, welche auch bestehende Einschränkungen und Erkrankungen berücksichtigt. Wenn es um die Frage einer Gewichtsabnahme geht, spielt vor allem das Thema der körperlichen Bewegung und des Sportes eine große Rolle.