Die Frau im roten Pullover liegt im Bett. Mit der rechten Hand hält sie eine Kaffeetasse, der linke Arm liegt neben ihr auf dem Kissen. Vor drei Jahren hatte die Frau im roten Pullover einen Schlaganfall, seitdem ist ihre rechte Körperhälfte gelähmt und sie auf Hilfe angewiesen. Yusuf Kaplan sitzt neben ihr am Bett und reicht ihr das Frühstück. „Danke Josef, du bist ein Engel“, sagt die Dame. Und damit hat sie Recht: Seit fast drei Jahren leitet Yusuf Kaplan den Krefelder Pflegedienst „ENGEL unterwegs“. „Ich habe selber in verschiedenen Pflegediensten gearbeitet. Aber irgendwann habe ich beschlossen, dass ich es anders machen möchte“, erzählt der 32-Jährige. „Wir stoppen nicht mit der Zeituhr, wie lange wir bei welchem Patienten sein können, und meine Mitarbeiter müssen auch keine Doppelschichten fahren. Ich möchte, dass jeder in seiner Betreuung die Zeit bekommt, die er benötigt.“
Die Engel betreuen alte und kranke Menschen und Kinder, die durch eine geistige oder körperliche Behinderung eingeschränkt sind. Leistungen sind bei dem Pflegedienst individuell buchbar. „Manche unserer Patienten brauchen nur Unterstützung beim Anziehen. Andere, die zum Beispiel bettlägerig sind, benötigen dagegen eine Rundumbetreuung, auch das ist natürlich möglich“, erklärt Kaplan. Welche Angebote beansprucht werden müssen, klärt der Chef in einem Gespräch mit den Angehörigen und der zu betreuenden Person. „Mir ist es wichtig, dass schon unser Erstgespräch in einem persönlichen Umfeld stattfindet und dass alle Beteiligten dieses Gespräch auch hören können“, so der Pflegedienstleiter. „Transparenz hat für mich eine große Bedeutung. Wir möchten niemandem vorspielen, wie es um ihn steht, sondern wir möchten ehrlich miteinander umgehen, eben wie in einer Familie.“ Mit der Dauer der Anwendungen werden die Engel oft zu einem richtigen Familienmitglied. Sie erleben die Patienten in ihrem Alltag, begegnen ihren Sorgen und Ängsten und hören Geschichten von früher.
„Als Pfleger sehen wir die Menschen natürlich täglich. Manchmal sind wir die einzigen Personen, mit denen sie am Tag ein Wort wechseln. Da entwickeln wir natürlich Beziehungen zu den Patienten“, erzählt Kaplan. Auch die Frau im roten Pullover freut sich jeden Tag die Engel zu sehen. Vor einigen Jahren ist ihr Mann gestorben, heute hätten die beiden Goldhochzeit gehabt. Sie erzählt Yusuf Kaplan wie schön ihre Hochzeit damals war und beschreibt ihm ihr Kleid. „Bevor ich beschlossen habe in die Altenpflege zu gehen, habe ich als Monteur gearbeitet. Damals habe ich alte Menschen ganz anders wahrgenommen“, erklärt der Familienvater und schaut mich an. „Alte Menschen verfügen über so viel Weisheit. Sie haben so viel erlebt und wir können in unserer Generation eine Menge von ihnen lernen.“ Durch den Zivildienst ist Kaplan das erste Mal mit Pflegebedürftigen in Kontakt gekommen. Nach dem Zivildienst absolvierte er dann eine Ausbildung in der Altenpflege und legte den passenden Fachwirt drauf. Außerdem trägt er die Titel „Pflegedienstleiter“, „Leiter ambulanter Pflege“ und einen Abschluss als „Qualitätsbeauftragter“. Neben der Pflege übernehmen die Engel auch die Beratung über die Kostenübernahme durch die Krankenkasse. „Für mich ist Qualität in diesem Arbeitsfeld sehr wichtig. Wer die Betreuung eines geliebten Menschen in fremde Hände abgibt, hat immer besondere Sorgen. Durch unseren Anspruch an Qualität versuche ich den Menschen diese Sorgen zu nehmen“, erklärt Kaplan. „Und auch für Pflegebedürftige ist es oft nicht einfach, die Pflege durch eine fremde Person anzunehmen. Auch da versuche ich zu vermitteln.“ Jeden Donnerstag findet in den Räumen der „ENGELunterwegs“ am Siemesdyk eine Art Altenclub statt. Zusammen mit den Pflegern können die Patienten basteln, Kaffee trinken oder sich unterhalten. Ihren Aufenthaltsraum mit vielen gemütlichen Sofas und Bildern haben sie selbst eingerichtet. „Der Donnerstag ist ein heiliger Tag in der Woche unserer Alten. Wenn der einmal ausfällt, dann sind unsere Patienten gar nicht glücklich“, erzählt Kaplan schmunzelnd. „Unsere Engel holen die Patienten ab und bringen sie auch wieder nach Hause. So ermöglichen wir ihnen am sozialen Leben teilzuhaben.“ Im Moment ist das Weihnachtsfieber im Aufenthaltsraum ausgebrochen. Ein Weihnachtsgesteck ziert den großen Tisch, bunte Nikoläuse und Sterne stehen auf den Fensterbänken und der aufgestellte Tannenbaum ist mit unterschiedlichen Kugeln geschmückt. „Die Deko haben viele von zuhause mitgebracht. Ihnen ist es da nicht mehr möglich, Weihnachten zu feiern, aber umso mehr freuen sie sich, wenn sie ihre alten Erinnerungen hier aufstellen können“, so der Pflegedienstleiter. „Bei manchen Patienten wissen wir nicht, ob dieses Weihnachtsfest vielleicht auch das letzte ist.“ In den knapp drei Jahren „ENGEL unterwegs“ hat Kaplan einige Patienten an den Tod abgegeben. Aber auch das gehöre leider zu seiner Arbeit dazu, sagt er. Gemeinsam spricht das Pflege-Team über solche Schicksale, tröstet sich gegenseitig und baut sich wieder auf.
„Ob ich Angst vor dem Altwerden habe?“, fragt Yusuf Kaplan. „Ja, das habe ich definitiv. Von anderen Leuten abhängig zu sein, ist nicht angenehm. Aber auch das gehört eben zum Leben dazu und diesen Lebensabschnitt wollen wir den Menschen mit den Engeln angenehm gestalten.“
Mehr Informationen unter www.engel-unterwegs.de oder 02151 1515211.